Am 09.09.2021 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein für viele Kreditnehmer sehr erfreuliches Urteil gefällt und der äußerst bankenfreundlichen Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH) damit eine „schallende Ohrfeige“ erteilt. In der Presse war von einem „Kracher-Urteil“, einem sensationellen Urteil, die Rede, bei dem mit Spannung erwartet wird, wie die Banken reagieren.
Worum geht es in dem EuGH-Urteil?
Kreditverträge unterliegen rechtlich dem Gebot, dass sie „klar und verständlich“ formuliert sein müssen. Der BGH stellte daran eher laxe Anforderungen und hielt zahlreiche bankenübliche Klauseln für ausreichend transparent.
Versuche von Kreditnehmern, Verbraucherkredite unter Hinweis auf die Intransparenz der Klauseln zu widerrufen, waren deshalb vor den deutschen Gerichten oftmals nicht erfolgreich. Der XI. Zivilsenat des BGH, bei dem diese Fälle in letzter Instanz zu entscheiden waren, hatte sich aufgrund seiner verbraucherunfreundlichen Rechtsprechung in Juristenkreisen bereits den Beinamen „Bankenschutzsenat“ erarbeitet und es wohlweislich vermieden, offen Rechtsfragen durch den Europäischen Gerichtshof klären zu lassen.
Allerdings nahmen einige Richter beim Landgericht in Ravensburg ihre richterliche Freiheit sehr wörtlich und legten dem Europäischen Gerichtshof zahlreiche Fragen zum Widerrufsrecht bei Verbraucherkreditverträgen vor - das Ergebnis ist ein sensationelles EuGH-Urteil, das am 09.09.2021 öffentlich bekannt wurde.
Was sagt der Europäisches Gerichtshof?
Bei vielen gebräuchlichen Klauseln, u. a. über die Höhe der Verzugszinsen, die Berechnungsmethode bei vorzeitiger Rückzahlung etc. sieht der Europäische Gerichtshof eine Intransparenz als gegeben an, so dass den privaten Kreditnehmern aus Verbraucherschutzgründen noch immer ein Widerrufsrecht zusteht.
Auch das Argument, ein Widerruf sei nach Rückzahlung des Kredits nur noch eingeschränkt möglich und das Widerrufsrecht „verwirkt“ (dh existent, aber nicht mehr ausübbar), ließ der EuGH so nicht gelten.
Nicht direkt anwendbar ist die EuGH- Rechtsprechung vom 09.09.2021 für Immobilienkredite.
Bei zahlreichen anderen Verbraucherkrediten, namentlich bei Autokrediten und Konsumgüterkrediten kann in aller Regel widerrufen werden.
Ganz besonders interessant ist dies bei der Autofinanzierung, da in diesem Fall unabhängig von jedwedem Abgasskandal das Auto zurückgegeben werden kann.
Welche Fallstricke und Probleme sind zu erwarten?
Wer bei demselben Kreditvertrag in der Vergangenheit schon einmal um den Widerruf eines Verbrauchervertrages prozessiert hat, hat keine oder nur verschwindend geringe Chancen, von dem Urteil des EuGH zu profitieren. Wenn nämlich zur (Un-)Wirksamkeit des Widerrufs bereits ein rechtskräftiges Urteil in der Welt ist, stellt sich eine solche Entscheidung im Nachhinein zwar als unrichtig dar. Eine Korrektur kann aber wegen der Rechtskraft nicht mehr auf juristischem Weg erreicht werden.
Ob und in welchem Umfang Auswirkungen auf Immobilienkredite zu erwarten sind, kann derzeit nicht verlässlich eingeschätzt werden. Immobilienkredite sind grundsätzlich von dem Urteil des EuGH nicht betroffen.
Es ist nicht zu erwarten, dass die Banken freiwillig einen nach der Rechtsprechung des EuGH vom 09.09.2021 begründeten Widerruf von Verbraucherkreditverträgen akzeptieren werden. Schon in der Vergangenheit galt: ohne Rechtsanwalt geht gar nichts, meist auch nicht ohne Klage.
Wie sollte man vorgehen?
In einem ersten Schritt ist zu empfehlen, die Möglichkeit eines Widerrufs überprüfen zu lassen. Viele Rechtsanwälte bieten eine erste Prüfung zu günstigen Konditionen oder sogar kostenlos an. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist auf Basis des EuGH-Urteils vom 09.09.2021 bei Verbraucherkrediten (anders bei Immobilienkrediten) eine Widerrufsmöglichkeit gegeben.
Mit Hilfe von Rechnern im Internet oder anwaltlicher Hilfe lässt sich ermitteln, welchen ungefähren wirtschaftlichen Vorteil ein Widerruf zur Folge hätte. Oft geht es dabei um Beträge im vierstelligen Bereich. Das gilt vor allem dann, wenn der jetzige Finanzierungszins nach erfolgtem Widerruf und Umschuldung deutlich günstiger wäre als der vertraglich vereinbarte Zins. Es lohnt sich also und ist zwingend erforderlich, nach Finanzierungsalternativen zu suchen, bevor widerrufen wird! Nach dem Widerruf muss die noch offene Kreditsumme zurückgezahlt werden.
Einen Widerruf ohne gesicherte Umschuldungs- oder Rückzahlungsmöglichkeit zu erklären, ist nicht ratsam. Handeln Sie deshalb auf keinen Fall voreilig auf Basis der Presseberichterstattung!
Mit Rücksicht auf verbleibende Kostenrisiken ist der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung für den Bereich allgemeines Zivilrecht VOR einem Widerruf in Erwägung zu ziehen, wobei etwaige Wartefristen beachtet werden müssen, damit die Versicherung später auch wirklich greift. WICHTIGER HINWEIS: Zahlreiche Rechtsschutzversicherer haben den Widerruf von Krediten in ihrem Regelwerk mittlerweile ausgeschlossen; einen Versicherungsanbieter ohne einen solchen Ausschluss zu finden, dürfte jetzt schon nicht einfach sein und künftig nicht leichter werden.
Das Urteil des EuGH vom 09.09.2021 bietet gute Gründe, mit der bisher finanzierenden Bank über eine Umfinanzierung zu günstigeren Zinssätzen zu verhandeln! Ob in der Kürze der Zeit der neue Kreditvertrag so angepasst werden konnte, dass er allen Anforderungen aus dem EuGH-Urteil entspricht oder ob er ebenfalls widerrufen werden kann, muss sich noch zeigen.
Sollte ein zufriedenstellendes Ergebnis im Verhandlungsweg nicht erreichbar sein, bleibt die Durchsetzung des Widerrufs auf juristischem Weg, also ein Klageverfahren. Nach derzeitigem Stand dürfte die Justiz von einer Klagewelle erreicht werden, die vom Umfang her schwer zu bewältigen ist – für die deutschen Zivilrichter ist dies keine gute Nachricht. Auch Verbraucher werden einige Geduld aufbringen müssen, wenn ihnen zu ihrem Recht verholfen werden soll.
Schließlich gilt: Die Berechnungen zur Rückabwicklung eines Kreditvertrages sind „eine Wissenschaft für sich“. Mehrere Einzelpunkte im Rahmen der Rückabwicklung werden von den Gerichten nicht unbedingt einheitlich gesehen, fundierter anwaltlicher Rat ist unabdingbar, um keine unnötigen Kostenrisiken einzugehen.
Autor: Dr. Franziska Meyer-Hessselbarth
Rechtsanwältin